Insights für die Hidden Champions im B2B

Valentino Ritter

Partner Transformation Management

Der B2B-Mittelstand muss sich sputen

Inflation, Krieg in Osteuropa, Energiekrise und Lieferkettenprobleme - momentan sind die Unternehmen vielfältigen Krisen ausgesetzt. Für viele CEOs stellt sich deshalb gerade jetzt die Frage, wie sie in der Post- Covid Welt die Überlebensfähigkeit ihrer Unternehmen nachhaltig sichern. In unserer Artikelreihe „B2B-Insights für die Hidden Champions“ zeigen wir auf, wie die Digitalisierung in Zeiten wie diesen auf Kostenreduktion und Profitabilität einzahlt.

Die Industrie sah sich in den vergangenen Monaten volatilen Rahmenbedingungen in einem Ausmaß ausgesetzt, wie dies schon lange nicht der Fall war. Der Fachkräftemangel, erschwerte Bedingungen in der Supply-Chain und eine ausgewachsene Energiekrise fordern die Führungsetagen im B2B-Mittelstand.  Alle Zeichen sprechen Post-Covid für eine „große Konsolidierung“, bei der es nicht nur um die Realisierung von Sparpotenzialen geht, sondern auch um das Hinterfragen etablierter Strukturen.

In einer Umfrage unter 1.000 deutschen Mittelstandsunternehmen rechnet nur jeder zehnte befragte CEO mit einer Verbesserung der Geschäftszahlen, die Hälfte geht von einer Verschlechterung für 2023 aus.(1)

Besonders für mittelständische Unternehmen ergeben sich große Chancen zur Stabilisierung im Bereich der Digitalisierung und Automatisierung. Denn nach wie vor ist der Digitalisierungsgrad deutlich geringer als bei kapitalmarktorientierten Unternehmen – zu Lasten der Profitabilität. Unternehmen mit einer überdurchschnittlich hohen EBIT-Marge weisen beispielsweise einen bis zu 26 Prozent höheren digitalen Reifegrad auf.(2)

Während Covid waren zahlreiche Unternehmen gezwungen, digitales Marketing und Vertrieb um jeden Preis voranzutreiben. Wie aus einer Befragung österreichischer Mittelstandsunternehmen deutlich hervorgeht, erachten CEOs die Relevanz von Digitalisierung als zunehmend wichtig, die Umsetzung und Skalierbarkeit digitaler Initiativen stellen die Unternehmen jedoch noch vor deutliche Herausforderungen. So nahm die Verbreitung von eCommerce Plattformen in den letzten Jahren zwar rasant zu, leider häufig ohne dabei ernsthaft einen Kunden zu beindrucken. (3)

Unerfüllte Erwartungen und unbefriedigende Erlebnisse
im B2B-Einkauf

Wenngleich die Digitalisierung einen großen Schritt vorangekommen ist, die Umstellungen haben sich nicht immer in großartigen Kundenerlebnissen niedergeschlagen. Und damit meinen wir nicht die Hype-Themen wie Blockchain, Metaverse und AI, wir sprechen vom Kerngeschäft des Mittelstands. B2B-Käufer auf digitalen Kanälen sind oft unzufrieden mit der Online-Beschaffung und empfinden ihn komplizierter als auf traditionellem Weg. Längst ist im B2B eine Erwartungshaltung aus dem privaten Einkauf vorherrschend und für den Mittelstand ergibt sich ein großer Nachholbedarf.

83

%

der B2B Käufer bevorzugen die Bestellung oder Bezahlung über eCommerce (4)

250

%

Anstieg bei Bestellungen über mobile Devices (5)

74

t%

der Millennials-B2B-Einkäufer wechselten den Anbieter wegen schlechter Experience (6)

66

%

der B2B-Einkäufer bevorzugen digitalen Self-Service gegenüber persönlichen Verkaufsgesprächen (7)

48

%

sehen die Steigerung der Kundenbindung als die wichtigste Herausforderung in Marketing und Kommunikation (8)

Studien zeigen, dass Käufer sich bei einem vergleichbaren Angebot an einen Wettbewerber wenden, sobald der digitale Kanal des bisherigen Partners nicht mehr mit ihren Bedürfnissen Schritt halten kann . Doch auch die zunehmende Auswahlmöglichkeit, Globalisierung und digitale Vergleichsmöglichkeiten münden in das Risiko einer Loyalitätskrise. B2B-Anbieter sind deshalb gut beraten, ihre Alleinstellung stärker hervorzuheben und in den digitalen Vertrieb (9)

Die schnelle und effiziente Durchführung von Kundenanfragen, der Einsatz von Automatisierung und eine operativ exzellent umgesetzte Onlinepräsenz steigern die Kundenzufriedenheit nachhaltig.

Ein Grund für diese unerfüllte Erwartungen liegt häufig in der Technologie selbst begraben. Nahezu alle Entscheider (92 %) in B2B-Firmen haben Herausforderungen mit ihrem Tech-Stack wahrgenommen und stellen fest, dass die Technologie die größte Hürde auf dem Weg zum digitalen Vertrieb ist. Wenn Unternehmen diesen geänderten Erwartungen näherkommen wollen, warten eine Reihe von Herausforderungen auf sie.  (10)

Die Betrachtung ob Profitcenter oder Kostenstelle ist dabei wesentlich.

Veränderte Betriebsanforderungen an die Organisation

«Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer die ganze Zeit über nackt geschwommen ist», sagte einst Finanzlegende Warren Buffet. 

Dieser dauerhaft anmutende Schockzustand durch Geopolitik und Makroökonomie stellt die Widerstandsfähigkeit der Unternehmen auf die Probe, bringt zweifelsfrei aber auch Chancen mit sich. Die wachsende Sorge veranlasst CEOs dazu, ihr Unternehmen resilienter aufzustellen und auf Optimierung und Restrukturierung zu setzen. Stark digitalisierte Unternehmen sind deutlich eher in der Lage, mit der Digitalisierung Umsätze zu steigern (80 Prozent) und Kosten zu senken (49 Prozent) als gering digitalisierte Unternehmen.(11)

Für eine optimale B2B-Experience ist ein tiefgreifender Wandel notwendig, der sich auf das gesamte Front Office ausdehnt: Vom Marketing über Commerce bis hin zu Sales und Service. Unternehmen sind gut beraten, das Problemverständnis für ihre Kunden zu schärfen und zu erkennen, dass dafür nicht nur eine digitale Transformation notwendig ist, sondern sich die gesamte Organisation verändern muss. Diese Veränderung der Arbeitskultur drückt sich im Idealfall in einem kundenzentrierten Betriebsmodell, cross-funktionalen Teams, integrierten Prozessen und modernen Technologie ausrtungen der Kunden zu vertiefen.

Demnach sollte das Ziel sein, die Organisation über alle Bereiche an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten – die Optimierung einzelner Journeys wird nicht zum Erfolg führen. Den Bereichen Data Management und Technologie kommt in diesem  Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, denn sie sind der Katalysator für diese Anpassungsfähigkeit.

Der Umstand, dass B2B-Geschäftsmodelle komplexer sind als im B2C-Bereich, macht auch die notwendigen Anpassungen vielschichtiger. Neben einer größeren Anzahl an Entscheidungsträgern und längeren Sales-Zyklen, sind die Produkte häufig durch einen höheren Individualisierungsgrad gekennzeichnet und erfordern ein optimales Zusammenspiel des gesamten Vertriebs.

All diese neuen Rahmenbedingungen wirken sich auf das Denken und Handeln von Hidden Champions aus, um den geänderten Einkaufserwartungen als auch organisatorischen Anforderungen gerecht zu werden. In welchem Spannungsfeld sie sich bewegen, haben wir hier zusammengefasst:

Veränderte Erwartungen eines B2B-Einkäufers
  1. B2B-Consumerization : Darunter wird die Nutzung von kundenzentrierter Technologie als digitale Schnittstelle zum B2B-Kunden zusammengefasst. Wir sehen für Unternehmen Möglichkeiten den Einkauf zu servicieren. Dies kann einerseits durch den Aufbau von Enterprise Marketplaces, Kundenportalen und Self-Service-Lösungen, aber auch durch die Nutzung von Digital Experience Plattformen geschehen, auf denen kanalübergreifend Funktionen aus Marketing, Sales, Service und Contentmanagement vereint werden.

  2. Omni-Channel Journey: B2B-Einkäufer fordern ein einheitliches Kundenerlebnis über die gesamte Kundenkontaktstrecke hinweg - von Awareness, Sales und über Service hinaus, in der physischen als auch digitalen Welt. Eine kanalübergreifend abgestimmte Kommunikation in jeder Phase der Purchasing Journey bedeutet eine Aktivierung relevanter Brand- und Produktbotschaften, unabhängig vom Touchpoint, auf dem sich der User befindet. Mit Hilfe einer integrierten Betrachtung und der datengetriebenen Optimierung sowie Aktivierung entlang eines Marketing Funnels lassen sich unerkannte Potenziale heben.  Digitale Erlebnisse werden im Media-Mix zunehmend relevanter, insbesondere die Informationsbeschaffung verschiebt sich auf digitale Kanäle, beispielsweise professionelle Social Media Plattformen, wie zB LinkedIn , und kann auch über SEO und SEA gesteuert werden.

  3. Customer Centric Experience: B2B-Einkäufer erwarten, dass Werbung, Angebote, Content und Kommunikation auf ihre individuellen Beschaffungsbedürfnisse zugeschnitten und personalisiert sind. Dazu muss ein tiefergreifendes Verständnis über die Motive der Kunden aufgebaut und die User Experience optimiert werden. Hierzu braucht es eine kundenzentrierte Produktentwicklung, in der das Kundenfeedback einfließen kann. Auch datengetriebene Optimierung führt zu kontinuierlichen Verbesserungen und ermöglicht personalisierte Journeys. Die Product Journey ist im B2B besonders relevant. Aufgrund der Fülle an Funktionen und Anpassungsmöglichkeiten muss gerade der Auffindbarkeit der Produkte besondere Beachtung geschenkt werden.

  4. Digital integrierte Services: Die Wertschöpfungsketten im B2B können sich grundlegend unterscheiden. Deshalb braucht es maßgeschneiderte, digitale Servicelösungen für Einkaufs-, Planungs-, Beratungs- und Schulungsprozesse, beispielsweise in Form von Konfiguratoren (CPQ) und speziell ausgestalteten digitalen Services, um auch Upsellingpotenziale zu nutzen. Supply Chain Collaboration ermöglicht eine integrierte Arbeitsweise im Beschaffungsprozess für unterschiedliche Rollen. Neben den individuellen Funktionalitäten steigt die Erwartung an das Erscheinungsbild stetig. Während SAP-like-Interfaces nicht mehr akzeptiert werden, sind intuitive Erlebnisse gefordert, denn sie lösen beispielsweise Messen in ihrer Rolle der Markenbildung ab.

Veränderte Betriebsanforderungen an die Organisation

  1. Neudenken des Vertriebs: Wir sehen Handlungsbedarf bei der Nutzung von datengetriebenen Schnittstellen und der Verkettung von Digital mit dem klassischen B2B-Vertrieb. Einen besonderen Stellenwert nimmt die digitale Neukundenakquise und das automatisierte Lead Management ein. So können mit Hilfe von digitalen Tools und automatisierten Prozessen Prospects angesprochen, Leads generiert und qualifiziert werden.  Auch die Verbindung von Online und Offline ist entscheidend. Schaut sich ein Kunde ein Produkt oder ein Datenblatt an ohne es zu kaufen, sollte dies eine Aktion im Vertrieb auslösen. Eine weitere Form der gezielten Akquise ist Account Based Marketing, bei dem personalisierte Botschaften bei Zielkunden zur Ansprache genutzt werden. All diese Maßnahmen eint der Anspruch, Marketing- und Vertriebsbudgets effektiver einzusetzen. Dabei sollte die Aufmerksamkeit auch auf End-2-End Funnel Analytics liegen, bei der die Wirksamkeit der Maßnahmen durch die Verwendung von Datenanalysen evaluiert und der ROI bewertet wird.

  2. Tech-enabled Employee Experience: Zentraler Aspekt ist das Sichern von Nachwuchstalenten und die Reduktion des Fachkräftemangels durch eine bessere Vermarktung des Unternehmens. Durch zielgruppenorientiertes Employer Branding werden fokussiert potenzielle Mitarbeiter angesprochen. Doch auch auf technologischer Ebene kann die Employee Experience verbessert werden, wie durch den Einsatz von Automatisierung und Generative AI, die den MitarbeiterInnen mehr Zeit für anspruchsvolle Tätigkeiten sichern soll.

  3. New Tech and Data Architecture: Im Fokus steht die Flexibilisierung der digitalen Systemlandschaft, um monolithische Systeme abzulösen und Mehrwert von Daten freizusetzen. In einem Best-of-Breed Ansatz werden Systeme unterschiedlicher Anbieter miteinander kombiniert. Composable Commerce und Headless Architecture ermöglichen ein Setup, indem einzelne Komponenten unabhängig voneinander in verschiedenen Umgebungen eingesetzt werden können. Dazu gehört auch ein modernes Datenmanagement, denn gerade im B2B-Bereich erwarten Käufer, dass Produkt-, Preis-, Bestands-, Versand- und Kundendaten über alle Touchpoints hinweg korrekt sind.

  4. Synergie statt Silo: Ein kundenzentriertes B2B-Betriebsmodell für Marketing & Sales erfordert eine datengetriebene Vernetzung des gesamten Front-Offices (Marketing, Sales, Commerce und Service) zur integrierten Steuerung und Optimierung der gesamten Customer Journey. Neben der systemischen Ebene werden Prozesse mit Hilfe von MarTech optimiert, um eine nahtlose und personalisierte Customer Journey über alle Touchpoints hinweg zu gewährleisten. Die Einführung eines Marketing Center of Excellence zielt darauf ab, Prozesse über Vertriebsregionen und Länderorganisationen hinweg zu standardisieren und die Organisation im Bereich Know-How Transfer weiterzuentwickeln.

Während die Krisengewinner ihre Erträge in neues digitales Wachstum investieren können, müssen andere ihre bestehenden Strukturen vor dem Hintergrund der Digitalisierung hinterfragen, um Kostenponteziale zu realisieren. Mit unserer Serie „Insights für die Hidden Champions im B2B“ werden wir in den nächsten Monaten tiefer in diese Themen eintauchen und konkrete Potenziale für eine pragmatische Umsetzung aufzeigen. Entscheiden Sie selbst, welche Schlussfolgerungen Sie für Ihr Unternehmen in Bezug auf Kundenerlebnis, Betriebsmodell und digitalen Reifegrad ziehen wollen.

Redaktion: Nadine Rigele

Quellen:

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